Krankengeschichte mit drei Lebensrettern

Bei einem Patienten wurde 1966 in der DDR Morbus Addison diagnostiziert. Manches verlief dabei anders, als man es von westlichen Erfahrungsberichten kennt.

Angeregt durch die GLANDULA 41, Heft 2/15, möchte ich über meine eigenen Erfahrungen mit einer seltenen Erkrankung berichten. Neben dem Beitrag in der GLANDULA über die Hausrenovierung in Verbindung mit Morbus Addison (S. 37) hat mich die Patientenbroschüre von Claudia Fegter „Mein Leben mit einer Hormonstörung” beeindruckt. Vieles, was dort beschrieben wird, bestimmt auch meinen Alltag.

Ich bin 77 Jahre alt und 1966, also vor nunmehr 49 Jahren, wurde bei mir eine primäre Nebenniereninsuffizienz diagnostiziert: Morbus Addison.

Plötzliche gesundheitliche Probleme

1966: Ich war 28 Jahre alt, verheiratet, hatte drei Kinder und arbeitete als Bauingenieur beim Aufbau eines Chemiebetriebes. Meine Arbeit war anspruchsvoll und meine Frau mit unseren kleinen Kindern auch voll ausgelastet. Eigentlich hätte es uns gut gehen können, wenn bei mir nicht gesundheitliche Probleme aufgetreten wären. Ich litt unter Schwindelgefühl, Kraftlosigkeit und schneller Ermüdung. Dazu kam Appetitlosigkeit, manchmal richtiger Widerwille gegen Nahrungsaufnahme. Das Ergebnis war Gewichtsabnahme, so wog ich schließlich bei 172 cm Größe nur noch 49 kg.

Dazu war der Blutdruck meist zwischen 90 und 100 – systolischer Druck – sodass ich oftmals Gleichgewichtsprobleme hatte.
Die Konsultation mehrerer Ärzte brachte kein wirkliches Ergebnis: Es liege an vegetativen Störungen, hektischem Lebenswandel, ich solle mehr Sport treiben. So waren die Aussagen. Auffällig war, dass ich immer eine starke Braunfärbung der Haut hatte, mehrere Untersuchungen auf den Verdacht der Gelbsucht waren negativ.

Dann wechselte ich mal wieder meinen Hausarzt. Ich wurde Patient bei einer Ärztin, die eigentlich Lungenfachärztin war, aber jetzt 1966 als Allgemeinmedizinerin arbeitete. Frau Dr. A. war zu diesem Zeitpunkt schon 72 Jahre alt. Ich betrachte sie als meine 1. Lebensretterin. Es entwickelte sich eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Ärztin und Patient, später half ich auch als Berater in Baufragen. Untersuchungen brachten jedoch wieder mal, wie schon bei anderen Ärzten auch, keine Ergebnisse. Nun dauerte meine Leidenszeit schon sechs Jahre, aber Frau Dr. A. meinte, dass ich eine Krankheit haben müsste, für die ihr aber die Kenntnisse fehlen. Sie könne mir nur einen Facharzt empfehlen in dessen Richtung als Internist meine Erkrankung liegen könnte und das sei Prof. Dr. K., Chefarzt eines Krankenhauses in Magdeburg. Es sei aber kaum möglich auf dem Weg als Krankenversicherter zu diesem zu gelangen. In der DDR ging das vom Hauarzt zum Facharzt auf Kreisebene und dann, wenn der es für notwendig erachtete, an ein Krankenhaus oder spezialisierten Facharzt. Zu einem besonderen Spezialisten zu gelangen, war so leicht nicht möglich. Doch meine Hausärztin meinte, Prof. K. hält Privatsprechstunden ab und das sollte ich nutzen.

Nichts leichter als das, dachte ich, ein Anruf und dann würde es schon klappen. Aber die telefonische Auskunft gab kein Ergebnis: lange Zeit ausgebucht, die Privatsprechstunde, Vormerkung nicht möglich. Wir wohnten und ich arbeitete auch in Salzwedel, eine Kreisstadt 100 km von Magdeburg entfernt. Bei einer Dienstreise nach Magdeburg sprach ich persönlich im Sekretariat vor. Die Chefsekretärin Frau. F. erklärte mir, dass der Professor nur vier Privatpatienten in jeder Woche annimmt, aber die meisten davon schon länger Patienten sind. Ich könnte immer mal nachfragen. Das tat ich dann wöchentlich. Mein Gesundheitszustand verbesserte sich nicht, in der Arbeit Stress, wenig Kraft für Privatleben und Familie.

Nach einem Vierteljahr dann beim Telefonieren Frau F. im Telefongespräch: „ ... Sie tun mir leid, deshalb habe ich jetzt einen Termin beim Professor für Sie gemacht ...".

Damit wurde Frau F. für mich zu meiner 2. Lebensretterin.

Diagnose und Behandlung

Im Juni 1966 hatte ich nun den Termin beim Professor, um 14.00 Uhr. Ich fuhr mit dem Auto, unserem Trabant, nach Magdeburg und war pünktlich da.

Dann empfing mich Prof. K.: eine beeindruckende Erscheinung, groß, weißhaarig, schlank. Nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, gingen wir in ein Untersuchungszimmer und ich musste mich ausziehen, auch die Strümpfe, und der Professor klopfte und hörte und tastete an mir. Danach wieder in das Sprechzimmer, natürlich bekleidet, der Arzt nahm meine Hände und drehte die Handflächen nach oben. „Ich lese Ihre Krankheit aus Ihren Händen", war seine Äußerung. „Und wenn sich das bestätigt, was ich denke, dann kann Ihnen geholfen werden." Damit war der Professor mein 3. Lebensretter.

Dann sagte er, dass ich für Untersuchungen in sein Krankenhaus für ca. eine Woche müsse, auch als Privatpatient.
Nach dem Krankenhausaufenthalt stand die vermutete Diagnose fest: „Unterfunktion der Nebennieren – Morbus Addison" eine seltene Erkrankung, aber man kann auch bei entsprechender Behandlung damit leben.

Die Therapie begann mit Prednisolon als Ersatz des Cortisols, der Ersatz des Aldosteron wurde mittels Spritzen erreicht, zweimal in der Woche eine Injektion von DCA (Desoxycosteronacetat), weil es das im Westen verwendete Fludrocotison in der DDR nicht gab. Auch war ich wenig informiert über meine Krankheit.

So was wie Selbsthilfegruppen existierten nicht und 1966 ist ja auch lange her.

Die 2 x wöchentliche notwendige Spritze war nicht nur wegen dieses öligen Serums unangenehm, sondern auch unbequem, weil ich viele Diensteisen in meiner Arbeit hatte. Überall, wo ich hinmusste, musste ich die Ampullen und einen Schriftsatz, der die Notwendigkeit der Injektion begründet, mitnehmen. Hätte schon damals mir jemand gesagt, dass es Fludrocortison gibt, dann hätten sicher meine Verwandten in der Bundesrepublik einen Weg gefunden, mir diese Tabletten zu beschaffen.

Nach der Diagnose und der Therapie erlebte ich eine stete Verbesserung meines Gesundheitszustandes: Ich nahm zu, der Blutdruck normalisierte sich, ich traute mir mehr zu. Ein Ausflug auf Skiern zum Fichtelberg, den ich mit unseren ältesten Sohn 1968 im Winterurlaub gemacht hatte, bewies den Erfolg der Therapie.

Neues Medikament

Zehn Jahre war ich Patient meines Professors, nach seiner Emeritierung bin ich ambulant Patient in der Medizinischen Akademie in Magdeburg gewesen. Inzwischen stellten sich Nebenwirkungen ein, als erstes eine Schilddrüsenunterfunktion, dann Stoffwechselprobleme, Gicht und Schwierigkeiten beim Spritzen. Dann bekam ich einen Anruf meines Arztes aus der Medizinischen Akademie, ich möchte doch mal dringend vorbeikommen. Wir machten einem Termin aus und da ich eher negativ denke, war ich beunruhigt.

Der Termin kam und ich war vor dem Dr. W. auf dem Patientenstuhl. Der Arzt begann mit einem Reisebericht. Da er ein anerkannter Endokrinologe war – ich muss bekennen, das ich dieses Wort damals noch gar nicht kannte – wurde er zu einem Fachkongress nach München eingeladen und schwärmte von diesem Ausflug in die westliche Welt. Aber deshalb habe er mich nicht hergebeten, sondern, und er hielt ein Tablettenöhrchen hoch, er habe mir vielmehr was mitgebracht. Keine Spritzen mehr, jeden Tag eine Tablette, das Wundermittel hieß „Fludrocortison". Er erläuterte: „Hier sind erst mal 100 Tabletten, das sind 100 Tage, nun muss ich für Sie beim Bezirksarzt den Antrag auf den Import dieses Medikamentes aus dem nicht-sozialistischen Ausland stellen." Der wurde genehmigt.
Die ärztliche Betreuung in dieser Zeit habe ich als gut empfunden. Alle zwei Jahre erfolgten Untersuchung und Tests in der Klinik. Alle Vierteljahr Labor und Tests in der Klinik, die hausärztliche Versorgung über die Betriebspoliklinik, alle zwei Jahre eine vierwöchige Kur. Trotzdem waren auch nach Diagnose und Behandlung Einschränkungen weiter vorhanden, die sich mit zunehmenden Alter verstärkten. Schwäche und Schwindelgefühle nahmen zu, wichtig war, immer ausreichend Schlaf zu haben. Weitere Erkrankungen kamen hinzu, teils als Nebenwirkungen der Medikamente, teils neu erworben, ein Prostatakarzinom mit Strahlentherapie, dann auch noch Depression. Möglicherweise Folge der Belastung von täglich 16 Tabletten und 12 verschiedenen Medikamente. Aber das ist dann schon eine weitere Geschichte.