Hypophysentumore: Hormondiagnostik
Die Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) ist das zentrale Steuerorgan nachgeschalteter endokriner, das heißt Hormone in den Blutkreislauf absondernder Drüsen (Schilddrüse, Nebennieren, Keimdrüsen). Darüber hinaus werden weitere wichtige Hormone wie Wachstumshormon oder Melanozytenstimulierendes Hormon gebildet. Im Hypophysenhinterlappen (auch Neurohypophyse genannt) wird das Antidiuretische Hormon (ADH) freigesetzt, welches in hypothalamischen Zellkernen gebildet wird und über den Hypophysenstiel in den Hypophysenhinterlappen gelangt. Es spielt für die Wasserregulation eine entscheidende Rolle; bei unzureichender Synthese, also Herstellung, entsteht das Krankheitsbild des Diabetes insipidus mit hohen Flüssigkeitsverlusten und der Gefahr der Austrocknung.
Gründe für Hormondiagnostik
Im Zusammenhang mit Hypophysentumoren wird eine Hormondiagnostik prinzipiell in zwei Situationen benötigt:
- Die Diagnose eines Hypophysenadenoms ist gestellt und es stellt sich die Frage, ob es sich um einen hormonaktiven oder -inaktiven Tumor handelt. Des Weiteren ist in dieser Situation zu klären, ob die Hypophysenfunktionen intakt oder beeinträchtigt sind.
- Ein Hypophysentumor wurde operativ oder strahlenmedizinisch behandelt; nach einer solchen Therapie ist erneut die Frage zu beantworten, ob alle Hypophysenfunktionen intakt sind und ob bei hormonaktiven Tumoren eine Restaktivität besteht.
Hypophysenadenome werden unterteilt in hormonaktive und -inaktive Tumore, je nachdem, ob sie durch Überproduktion von Hormonen ein klinisches Krankheitsbild verursachen oder nicht. Zu den hormonaktiven Tumoren zählen das Wachstumshormon-produzierende Adenom (klinisches Bild: Akromegalie), das Prolaktinom (klinisches Bild: bei Frauen Wegbleiben der Regelblutung, Milchfluss, bei Männern Potenzstörungen, bei beiden Geschlechtern Nachlassen der Libido), das ACTH-produzierenden Adenom (klinisches Bild: Morbus Cushing) sowie das TSH-produzierende Adenom (TSHom; klinisches Bild: Schilddrüsenüberfunktion). Zu den hormoninaktiven Tumoren zählen das LH- und FSH-produzierende Adenom (hier besteht zwar eine Hormonüberproduktion, die sich klinisch jedoch meistens nicht bemerkbar macht), sowie das Kraniopharyngeom und eine gemischte Gruppe (z. B. Germinom).
Aufgrund der vielen als Zufallsbefund entdeckten Hypophysenadenome überwiegen in der endokrinologischen Ambulanz heute die hormoninaktiven Adenome (Abb. 1).
Ablauf der Hormondiagnostik
Vor einer Hormondiagnostik steht stets die genaue Erhebung der Krankengeschichte und die körperliche Untersuchung, die bereits wesentliche Hinweise auf Hormonaktivität geben kann (z. B. Akromegalie oder Morbus Cushing). Es folgt dann die Bestimmung des endokrinologischen Basislabors (Abb. 2), welches ebenfalls bereits wichtige Hinweise liefert. So kann in diesem Schritt z. B. ein Prolaktinom erkannt werden, welches in den meisten Fällen nicht operiert werden muss, sondern mit Medikamenten behandelt werden kann. Das Vorgehen bei Verdacht auf Morbus Cushing zei- gen die Abb. 3a und 3b. Gelegentlich kann durch die erwähnten Tests keine sichere Differenzierung zwischen einem ACTH-produzierenden Hypophysenadenom und einem ektopen ACTH-Syndrom getroffen werden; in diesen Fällen kann die Durchführung eines Sinus-petrosus-Katheters weiterhelfen, bei dem aus dem unmittelbaren venösen Abflussgebiet der Hypophyse und gleichzeitig aus einer Armvene Blut zur Bestimmung von ACTH abgenommen wird. Bei einem Morbus Cushing wird in einer der beiden hypophysennah abgenommenen Blutproben eine höhere ACTH-Konzentration gemessen werden als in der Armvene. Durch Gabe von CRH (Cortiocotropin Releasing Hormon) kann man die Genauigkeit des Tests noch steigern. Abb. 4 zeigt einen typischen Befund bei einem rechtsseitig gelegenen ACTH-pro-duzierenden Hypophysenadenom. Da die Hypophyse viele nachgeschaltete Hormondrüsen steuert, entsteht bei Ausfall dieses wichtigen Organs ein sehr vielgestaltiges Beschwerdebild, welches von depressiven Zustandsbildern über Störungen des Sexuallebens bis hin zu schweren Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit, letztlich bis zur krisenhaften Zuspitzung, führen kann. Die Erhebung des endokrinologischen Basislabors kann auch in dieser Situation schon wichtige Hinweise liefern. Um die lebenswichtige Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenfunktion zu prüfen, können mehrere Tests zum Einsatz kommen. Erster Schritt ist stets die Bestimmung des morgendlichen Cortisolspiegels im Plasma. Liegt dieser Wert unter 5μg/dl (138nmol/l) ist von einer unzureichenden Cortisol-Produktion der Nebennierenrinde auszugehen und eine entsprechende Substitutionstherapie, also Ersatztherapie einzuleiten. Bei Werten über 13 μg/ dl (365 nmol/l) ist diese Achse wahrscheinlich intakt und keine Substitutionstherapie erforderlich. Falls das morgendliche Cortisol zwischen 5 und 13 μg/dl liegt (138-365 nmol/l), wird in unserer Institution zunächst der niedrig-dosierte ACTH-Kurztest durchgeführt. Ergibt der stimulierte 30-Minuten-Wert einen Befund unter 16μg/dl (440nmol/l) liegt eine unzureichende Stimulierbarkeit vor; bei über 22 μg/dl (600 nmol/l) ist eine ausreichende Cortisol-Produktion gegeben. Falls der ACTH-Stimulationstest einen stimulierten Wert zwischen 16 und 22μg/dl (440- 600 nmol/l) liefert, führen wir einen weiteren Stimulationstest durch, wobei sich der Insulin-Toleranz-Test oder der Metopiron-Test anbieten. In unserer Institution hat sich der letztgenannte Test bewährt, der weniger belastend für den Patienten ist und, wie der Insulin-Toleranz-Test, die gesamte Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenfunktion prüft. In Abb. 5 ist dieses stufenweise Vorgehen dargestellt.
Metopiron hemmt in der Nebennierenrinde die Syntheseschritte von 11-Desoxyorticosteron (DOC) zu Corticosteron und von 11-Desoxycortisol zu Cortisol, sodass es nach der Gabe der Substanz zu einem Abfall des Cortisol-Spiegels und reaktiver Aktivierung der Hypothalamus-Hypo- physen-Nebennierenachse kommt (Abb. 6). Nach mitternächtlicher Gabe von Metopiron in einer Dosis von 30 mg/kg muss am nächsten Morgen der Cortisolspiegel auf unter 5 μg/dl (138 nmol/l) abgefallen und gleichzeitig der ACTH-Spiegel auf mindestens 78,5 pg/ml sowie der 11-Desoxycortisol-Spiegel auf über 50 ng/ml angestiegen sein. Werden diese Grenzwerte nicht erreicht, liegt eine Störung der Achse vor.
Zur Prüfung der sogenannten gonadotropen, d. h. die Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke) steuernden Funktion der Hirnanhangsdrüse ist die Erhebung der Krankengeschichte der entscheidende Schlüssel. Zu fragen ist bei Frauen nach der Menstruationsblutung sowie bei beiden Geschlechtern nach der Sexualfunktion (Libido, Potenz). Als laborchemische Parameter werden Testosteron und SHBG (sexualhormon-bindendes Globulin) sowie LH (luteinisierendes Hormon, FSH (Follikel-stimulierendes Hormon) und bei Frauen Estradiol bestimmt. In seltenen Fällen (bei Erwachsenen wird dieser Test meist nicht benötigt) kann ein GnRH (Gonadotropin-Releasing Hormon-)Stimulationstest durchgeführt werden.
Bei Verdacht auf Wachstumshormonmangel wird zunächst der IGF-1-Spiegel (Insulin-like-Growth Factor) bestimmt. Ist dieser bei entsprechender Krankengeschichte erniedrigt, liegt wahrscheinlich eine unzureichende Wachstumshormonproduktion vor. Wenn gleichzeitig mindestens zwei weitere hypophysäre Funktionen beeinträchtigt sind, ist eine weitere dynamische Prüfung der Funktion nicht erforderlich; gegebenenfalls kann dann eine Substitutionstherapie mit Wachstumshormon erfolgen. Liegt der IGF-1-Spiegel im Normbereich und es besteht dennoch klinisch der Verdacht auf einen Wachstumshormonmangel, sollte ein dynamischer Test erfolgen. Wobei wir in unserer Institution den kombinierten GHRH (Growth Hormone Releasing Hormon)-/Arginin-Test bevorzugen, da er, anders als der ebenfalls für diese Fragestellung empfohlene Insulin-Toleranz-Test, den Patienten weniger belastet (Abb. 7).
Wenn sich die Frage einer unzureichenden ADH-Produktion stellt, sollte man den Patienten zunächst bitten, ein Flüssigkeitsprotokoll (Einfuhr/Ausfuhr) zu führen. Wenn auch danach noch Unklarheit über das Vorliegen eines sogenannten Diabetes insipidus besteht, wird unter stationärer Beobachtung ein Durstversuch durchgeführt, bei dem geprüft wird, ob genügend ADH abgesondert wird, um bei gestoppter Flüssigkeitszufuhr in der Niere genügend Wasser zurückzuerhalten.
Prof. Dr. med. Heiner Mönig
Bereichsleiter Endokrinologie/ Diabetologie/Osteologie/ Neuroendokrine Neoplasien
Klinik für Innere Medizin I
UKSH/Campus Kiel