Epidemiologie des Morbus Addison in Deutschland

Ursachen eines Morbus Addison in Deutschland und anderswo

Morbus Addison ist eine chronische Erkrankung, die in entwickelten Ländern wie Deutschland zu über 80 % durch eine Autoimmunerkrankung der Nebennieren verursacht wird. Unter einer Autoimmunerkrankung versteht man eine Störung, die darauf beruht, dass das Immunsystem körpereigenes Gewebe irrtümlich als Fremdkörper bekämpft. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die häufigste Ursache für einen Morbus Addison auch bei uns eine Tuberkulose mit Befall beider Nebennieren. Mittlerweile ist die Nebennierentuberkulose in Deutschland sehr selten, stellt aber weltweit nach wie vor eine wichtige Ursache für einen Morbus Addison insbesondere in wenig entwickelten Ländern dar.

Zahl der Betroffenen

Morbus Addison ist selten. Gerade diese Tatsache macht es sehr schwierig, zu ermitteln, wie viele Betroffene es in einem Land gibt. Die meisten bisher vorliegenden Zahlen basieren auf Hochrechnungen oft recht kleiner Patientengruppen und sind somit letztlich relativ grobe Schätzungen. In Schweden und Norwegen gibt es nationale Patientenregister, in der alle Erkrankungen der Bevölkerung erfasst werden. Anhand dieser Register können für die skandinavischen Länder recht genaue Erkrankungszahlen für den Morbus Addison ermittelt werden, die bei etwa 140 Erkrankten pro 1 Millionen Einwohnern liegen. Wir wissen jedoch, dass in Skandinavien Autoimmunerkrankungen insgesamt häufiger als in Deutschland sind, sodass diese Zahl nicht einfach auf unser Land zu übertragen ist. Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Erkrankung Morbus Addison etwas zuzunehmen scheint.

Um nähere Erkenntnisse über die Verbreitung des Morbus Addison in Deutschland zu gewinnen, wurden in einer Kooperation mit der Techniker Krankenkasse die dort vorliegenden Versicherungsdaten ausgewertet1. Bei der Techniker Krankenkasse als großer gesetzlicher Krankenkasse sind etwa 11–12 % der Bevölkerung Deutschlands versichert. Die Zusammenarbeit bot daher die Chance, das Auftreten einer so seltenen Erkrankung in einer sehr großen Gruppe von Menschen zu erheben, sodass aussagekräftige Hochrechnungen auf die gesamte Bevölkerung möglich waren. Die Auswertung der Daten ergab für den autoimmun verursachten Morbus Addison eine Erkrankungshäufigkeit von 82-87 pro 1 Millionen Einwohner. Frauen zeigten sich mit 96-108 Addisonpatientinnen pro 1 Millionen Einwohner etwa 1,5-mal so häufig betroffen wie Männer mit 63-68 Erkrankten pro 1 Millionen (Abbildung 1). Aus diesen Zahlen lässt sich für Deutschland eine Zahl von etwa 7.000 Menschen mit autoimmunbedingtem Morbus Addison ermitteln. Die Erkrankung ist also unzweifelhaft sehr selten. Deutlich wird dies vor allem im Vergleich mit einer sehr häufigen Erkrankung wie dem Diabetes mellitus Typ 2, der etwa 6 Millionen Menschen in unserem Land betrifft. Die Auswertung der Daten zeigte zudem tatsächlich einen leichten Anstieg der Erkrankungszahlen über die untersuchten Jahre 2008-2011. Auffällig war dies insbesondere bei den Frauen. Hier stieg die Zahl der Betroffenen in den untersuchten Jahren um 2,7 % pro Jahr an.

Abb. 1

Ein autoimmuner Morbus Addison kommt häufig nicht allein

Patienten mit autoimmun bedingtem Morbus Addison haben nicht selten zusätzlich eine oder manchmal sogar mehrere andere Autoimmunerkrankungen. Die Untersuchung der Versicherungsdaten1 zeigte, dass dies bei 46,5 %, also bei knapp der Hälfte der Addisonpatienten, der Fall ist. Das Risiko, eine weitere Autoimmunerkrankung zu haben, ist bei Menschen mit Morbus Addison bis zu 30-mal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Das Spektrum an möglichen weiteren Autoimmunerkrankungen ist groß. Viele dieser Erkrankungen sind jedoch selten und bleiben dies auch bei erhöhtem Risiko. Die mit Abstand häufigste weitere Autoimmunerkrankung ist die Autoimmunthyreoiditis Hashimoto, die bei mehr als einem Drittel der Addisonpatienten besteht. Ein zusätzlicher Typ 1 Diabetes mellitus konnte bei etwa 12 % der Patienten festgestellt werden.

Morbus Addison ist keine Erbkrankheit. Wir wissen jedoch, dass es genetische Merkmale gibt, die das Risiko erhöhen, einen Morbus Addison und unter Umständen auch andere Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. Morbus Addison tritt gehäuft in Kombination mit anderen Autoimmunerkrankungen auf, weil sich die genetischen Risikokonstellationen für viele dieser Krankheiten gleichen. Diese Merkmale können an die Nachkommen vererbt werden. Kinder von Menschen mit Morbus Addison haben somit – statistisch – gegenüber der Gesamtbevölkerung ein leicht erhöhtes Risiko, ebenfalls die Erkrankung zu bekommen. Jedoch bleibt der Morbus Addison auch für Kinder von Betroffenen eine sehr seltene Krankheit.

Epidemiologie von Addisonkrisen

Addisonkrisen können als potenziell lebensbedrohliche Komplikation eines Morbus Addison entstehen, wenn ein erhöhter Cortisonbedarf bei Infekten, Unfällen, Operationen oder in erheblichen psychischen Stresssituationen nicht ausreichend durch eine Dosiserhöhung von Hydrocortison abgedeckt wird. Gleiches gilt, wenn Cortisontabletten, vor allem bei Erbrechen und/
oder Durchfall, nicht richtig im Körper aufgenommen werden können. In den letzten Jahren zeigen verschiedene Untersuchungen, dass Addisonkrisen wahrscheinlich häufiger auftreten, als man früher dachte. In einer großen Untersuchung der Uniklinik Würzburg, in der mehr als 400 Patienten mit Nebenniereninsuffizienz über 2 Jahre engmaschig untersucht und befragt wurden, konnte eine Krisenhäufigkeit von 8,3 pro 100 Patientenjahren ermittelt werden2. In einer Gruppe von 100 Patienten traten also innerhalb eines Jahres 8,3 Addisonkrisen auf. Durch Auswertung der Versicherungsdaten der Techniker Krankenkasse3 zeigten sich für die Patienten mit Morbus Addison sehr ähnliche Zahlen mit 7,9 Krisen pro 100 Patientenjahre. Noch höher war die Anzahl von Krisen bei Patienten, die noch mindestens eine weitere Autoimmunerkrankung haben. Hier fanden sich 10,9 Krisen pro 100 Patientenjahre. Als besonders krisengefährdete Untergruppe konnten dieser Untersuchung Menschen mit Morbus Addison und Typ 1 Diabetes identifiziert werden, bei denen 12,5 Krisen pro 100 Patientenjahre dokumentiert waren (Abbildung 2).

Abb. 2

Diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig es ist, Strategien zu entwickeln, um das Auftreten von Addisonkrisen so weit wie möglich zu verhindern. Hierzu zählen insbesondere eine ausreichende, verständliche und regelmäßig durchgeführte Schulung von Patienten und ihren Angehörigen und eine entsprechende Ausstattung mit Notfallausweisen und Notfallsets, aber auch Verbesserungen in der ärztlichen Versorgung bei drohenden oder bereits aufgetretenen Krisen.

Dr. med. Gesine Meyer
Klinikum der Goethe-Universität
ZIM, Med. Klinik 1
Schwerpunkt Endokrinologie
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt