Die MEN-1-Erkrankung

Was genau ist MEN 1?

Die Multiple Endokrine Neoplasie Typ 1 (MEN 1) ist eine seltene genetisch bedingte Erkrankung hormoneller (endokriner) Drüsenorgane, wobei in noch selteneren Fällen auch nicht hormonbildende Organe wie die Haut und das Nervensystem betroffen sein können. Gelegentlich wird die MEN-1-Erkrankung auch als Wermer-Syndrom bezeichnet, benannt nach Paul Wermer, welcher das Syndrom 1954 erstmals umfassend beschrieb. Die Häufigkeit, mit welcher das MEN-1-Syndrom in der Bevölkerung auftritt liegt bei etwa 1:30.000. Es wird in allen Altersgruppen beobachtet, wobei sich entspre- chende MEN-1-assoziierte, also mit MEN 1 verbundene Erkrankungen in>94%derFälleinder5.Dekade des Lebens, das heißt im Alter zwischen 50 und 60 Jahren, entwickeln.

Symptome, Diagnose, Monitoring

Betroffene können maßgeblich an drei Organen erkranken. Das sind eine Überfunktion aller vier Nebenschilddrüsen (primärer Hyperpara- thyreoidismus), ein neuroendokriner Tumor (NET) der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) und/oder des Zwölffingerdarms (Duodenum) sowie eine gutartige Gewebeneubildung der Hirnanhangsdrüse (Hypophysenadenom). Ferner können auch Tumoren der Nebennierenrinde (in etwa 40 %) sowie sehr selten auch neuroendokrine Tumoren des Thymus oder der Bronchien diagnostiziert werden. Die Überfunktion aller vier Nebenschilddrüsen durch eine gutartige Gewebsvermehrung (Hyperplasie), welche das Krankheitsbild des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) mit seinem Leitbefund eines erhöhten Kalziumspiegels hervorruft, ist mit > 90 % die eindeutig führende Krankheitserscheinung beim MEN-1-Syndrom. Sie lässt sich häufig schon in der 2. Lebensdekade diagnostizieren. Die Häufigkeit von NET wird mit etwa 50 % angegeben (davon etwa 50 % hormonaktiv mit einem Gastrinom, einem das Hormon Gastrin produzierenden Tumor, als häufigste Form), von Hypophysen-Adenomen mit etwa 40 % (davon das Prolaktinom, ein das Hormon Prolaktin produzierender Tumor mit ca. 65 % als häufigster Befund).

Ausschlaggebend ist, ob ein Patient bei mindestens zwei der maßgeblich betroffenen Organe an entsprechenden Krankheitsbildern (Nebenschilddrüsenüberfunktion, NET, Hypophysenadenom) leidet oder ob auch nur eines der maßgeblich betroffenen Organe derart typische Auffälligkeiten zeigt. Beispiele sind eine Nebenschilddrüsenüberfunktion mit krankhafter Vergrößerung aller vier Nebenschilddrüsen oder in höherer Zahl auftretende NET in Bauchspeicheldrüse bzw. Zwölffingerdarm, hier insbesondere bei Vorliegen eines Gastrinoms. Dann muss bei diesem Betroffenen an die Möglichkeit des Vorliegens einer MEN-1- Erkrankung gedacht und eine entsprechende molekulargenetische Untersuchung veranlasst werden. Des Weiteren ist bei jedem Patienten mit bestätigter MEN-1-Erkrankung der Anlass gegeben, dessen Angehörigen 1. Grades ebenfalls eine entsprechende humangenetische Beratung anzubieten und im Falle des Einverständnisses auch eine molekulargenetische Untersuchung durchzuführen.

Der MEN-1-Erkrankung liegt in >80 % eine unmittelbare Vererbung des mutierten MEN-1-Gens auf Chromosom 11q13 von einem betroffenen Elternteil zugrunde. Durch den sogenannten autosomaldominanten Vererbungsweg setzt sich selbst bei Weitergabe nur eines mutierten Chromosoms neben dem gesunden Chromosom des anderen Elternteils die Gen-Mutation in höchstem Maße durch. So ist im Falle der MEN-1-Erkrankung das entsprechend falsch zusammengebaute Eiweiß Menin nicht mehr in der Lage, seiner Funktion als Unterdrücker von Tumorbildung in den hauptsächlich betroffenen Drüsenorganen dauerhaft und effizient nachzukommen. Neben der direkten Vererbung des mutierten MEN-1-Gens gibt es auch zu ca. 10 % spontane Neumutationen. In etwa 10–20 % der Fälle kann trotz typisch klinischem Bild eines MEN-1-Syndroms keine MEN-1-Genmutation nachgewiesen werden, sodass auch noch andere genetische Veränderungen ursächlich sein können.

Neben der Diagnosestellung der einzelnen MEN-1-assoziierten Krankheitsbilder gilt auch das sogenannte Monitoring von Betroffenen als komplexe Herausforderung. Hier gilt es, möglichst frühzeitig weitere Krankheitserscheinungen zu erkennen, um sie einer adäquaten Therapie zuzuführen. Die beiden entscheidenden Säulen der Diagnostik sind die Messung spezifischer Hormone sowie die bildgebende Diagnostik. Letztere liefert dank des enormen technischen Fortschrittes, gerade auf dem Gebiet der Nuklearmedizin, unterschiedlichste informationsbringende Facetten der zu untersuchenden Organe und spielt insbesondere bei der Auffindung neuroendokriner Tumore eine zentrale Rolle.

Die Säule der Hormonanalytik ist die Domäne des Endokrinologen. Sollten die Anamnese, die systematische Erfragung des Gesundheitszustandes, und die körperliche Untersuchung ausreichend Hinweise auf eine Hormondrüsenfehlfunktion und damit das Auftreten einer MEN-1-zugeordneten Störung liefern, ist folgendes Vorgehen angezeigt: Durch die Messung der jeweiligen Hormonspiegel sowie gegebenenfalls weiterer in Folge krankhafter Hormonwirkung veränderter Messgrößen kann eine gezielte Aussage getroffen werden, ob z. B. eine Nebenschilddrüsenüberfunktion (pHPT) vorliegt oder nicht. In diesem Falle würde ein erhöhter Nebenschilddrüsenhormonspiegel zusätzlich zu einem erhöhten Kalziumspiegel im Blut auf die Erkrankung hinweisen. Im Falle eines Hypophysenadenoms ist bei MEN-1-Erkrankten häufig mit einem Makroadenom zu rechnen, dass bedeutet ein Befund ≥10 mm, welcher mittels eines gezielten MRTs (bildgebendes Verfahren Magnetresonanztomographie) erhoben wird. Die Mehrzahl der Hypophysenadenome bei MEN 1 weisen eine krankhafte Hormonausschüttung auf. In der Reihenfolge ihrer absteigenden Häufigkeit sind dies Prolaktin (Folge: Milchfluss aus der Brustdrüse, Zyklusstörungen, Libidostörungen, das heißt mangelndes sexuelles Verlangen, und Unfruchtbarkeit), Wachstumshormon (Folge: Akromegalie) und ACTH (Folge: Morbus Cushing). Gefolgt werden diese von hormoninaktiven Hypophysenadenomen. Aber auch diese können aufgrund ihrer Größe zur Verdrängung gesunden Hypophysengewebes und dadurch zu hormonellen Ausfallerscheinungen führen. Unabhängig von hormoneller Aktivität können Makroadenome die Sehfähigkeit durch ihre enge anatomische Lage zum Sehnerven beeinträchtigen. Bei entsprechendem Verdacht muss ein Augenarzt hinzugezogen werden.

Ein Hormonexzess (z. B. Cortisol) kann gelegentlich auch von MEN-1-assoziierten gutartigen Nebennierentumoren ausgehen, welche in der Regel jedoch hormoninaktiv sind. Ein Nebennierenkarzinom ist hingegen extrem selten. Auch die neuroendokrinen Tumore der Bauchspeicheldrüse, des Zwölffingerdarms oder seltener an anderen Orten können je nach Art erst durch einen Hormonexzess auffällig werden.

Therapie

Die Behandlung MEN-1-assoziierter Erkrankungen zielt in erster Linie immer auf die Möglichkeit einer operativen Entfernung entsprechender Neubildungen mit Hormonexzess. Relativ gut ist der primäre Hyperparathyreoidimus (Überfunktion der Nebenschilddrüse) durch eine nahezu vollständige Entfernung aller vier vergrößerten Nebenschilddrüsen zu behandeln. Auch die Entfernung eines Hypophysentumors ist in der Hand eines geübten Neurochirurgen, welcher den Eingriff über die Nasenlöcher durchführt, mit einer guten Erfolgsquote verbunden. Im Falle eines Prolaktinoms der Hypophyse ist sogar eine rein medikamentöse Behandlung fast immer von Erfolg gekrönt. Die Entscheidung, ob im Falle des Vorliegens neuroendokriner Tumore der Bauchspeicheldrüse und des Zwölffingerdarms ein operativer Eingriff sinnvoll ist, wird immer eine Einzelfallentscheidung sein, welche im Rahmen eines Tumorboards festgelegt wird. Hier spielt unter Berücksichtigung des individuell vorliegenden Entartungspotenzials des NET in ganz besonderem Maße die Abwägung von Nutzen und Risiko eines solchen meist ausgedehnten operativen Eingriffs eine entscheidende Rolle. Aufgrund eines sehr hohen Entartungspotenzials von NET der Thymus-Drüse sollte bei entsprechendem Nachweis immer die Entfernung dieses verzichtbaren Organs angestrebt werden. Tumore der Nebenniere werden immer bei nachgewiesenem Hormonexzess oder ab einer Größe von 4 cm bzw. verdächtigem Verhalten (CT/MRT) entfernt.

Heutzutage stehen nach Ausschöpfung aller sinnvollen operativen Möglichkeiten mehrere sogenannte Zweitlinien-Therapieoptionen medikamentöser Art zur Verfügung, um nahezu alle MEN-1-assoziierten Erscheinungen zumindest in ihrer Krankheitsaktivität einzudämmen oder gar dauerhaft sehr effizient zu behandeln. Nicht zuletzt durch moderne Therapieverfahren, wie molekular zielgerichtet wirkende Pharmaka sowie Radionuklide, konnte die durch die neuroendokrinen Tumoren maßgeblich beeinflusste Prognose von MEN-1-Patienten in den letzten Jahren entscheidend verbessert werden.

PD Dr. med. habil. Stefan Karger
Praxis für Endokrinologie
Käthe-Kollwitz-Str. 9
04109 Leipzig
und Universitätsklinik Leipzig Klinik für Endokrinologie und Nephrologie
Liebigstraße 20
04103 Leipzig