Therapie mit Geschlechtshormonen bei Patientinnen mit Hypophyseninsuffizienz

Welche Hormone bezeichnet man als Geschlechtshormone (Sexualhormone) und welche Aufgaben haben diese im weiblichen Körper?

Östradiol wird bei der geschlechtsreifen Frau hauptsächlich in den reifenden Eibläschen (Follikel) der Eierstöcke gebildet. Es wirkt auf viele Organe, unter anderem auf die Brust, die Gebärmutter, die Gebärmutterschleimhaut, die Haut, das Herz-Kreislauf-System, den Fetthaushalt, die Schleimhäute, in der Blase, in der Harnröhre, auf die Knochen sowie auf bestimmte Gehirnstrukturen.

Gelbkörperhormon (Progesteron) wird im sogenannten Gelbkörper (Corpus Luteum) produziert und dient dazu die Gebärmutterschleimhaut so umzuwandeln, dass eine Schwangerschaftseinnistung möglich ist. Kommt es nicht zu einer Schwangerschaft, sorgt das Gelbkörperhormon dafür, dass die durch Östrogen aufgebaute Gebärmutterschleimhaut einmal im Monat abblutet.

Warum bleibt die Bildung der Geschlechtshormone (Sexualhormone) bei Patientinnen mit nachgewiesener Hypophyseninsuffizienz aus?

Veränderungen im Bereich des Vorderlappens der Hypophyse (Hirnanhangdrüse) führen dazu, dass dort normalerweise gebildete Hormone nicht mehr oder nur noch unzureichend produziert werden. Recht oft kommt es dabei zu einem Ausfall der Hormone LH (Luteinisierendes Hormon) und FSH (Follikel-stimulierendes Hormon). Normalerweise gelangen diese beiden Hormone aus der Hypophyse in den Blutkreislauf und führen dann im Eierstock der geschlechtsreifen Frau zur Reifung eines Eibläschens (Follikel) und somit zur Bildung des Geschlechtshormons Östradiol. LH ist dann im Weiteren erforderlich, um bei einem reifen vorhandenen Eibläschen einen Eisprung zu erzeugen. Nach dem Eisprung entwickelt sich aus dem ehemaligen Eibläschen der Gelbkörper und produziert das sogenannte Gelbkörperhormon (auch Progesteron genannt). Erhalten die Eierstöcke kein Signal, weil FSH und LH in der Hypophyse nicht gebildet werden, kommt es auch nicht zur Bildung der Geschlechtshormone. Man spricht von einem sekundären Hypogonadismus, das heißt, die Eierstöcke sind eigentlich funktionsfähig und könnten die Sexualhormone produzieren, nur dass die erforderlichen Signale (FSH und LH) nicht ankommen!

Was passiert, wenn die Geschlechtshormone (Sexualhormone) in den Eierstöcken bei einer Patientin mit Hypophyseninsuffizienz nicht gebildet werden?

Bei der gesunden Frau werden mit der Pubertät bis zur Menopause (letzte Regelblutung) die Geschlechtshormone produziert.

Bei Veränderungen der Hirnanhangdrüse mit Ausfall der Produktion von Geschlechtshormonen vor Einsetzen der Pubertät kommt es zu einer Störung der Pubertätsentwicklung. Das heißt, die äußeren Geschlechtsmerkmale entwickeln sich nicht wie gewohnt oder auch gar nicht (Schambehaarung, Brustentwicklung), die Regelblutung setzt nicht ein, das Längenwachstum ist eingeschränkt. Mithilfe einer Hormontherapie (Östrogen- und Gestagengabe) ist es möglich, die Pubertätsentwicklung einzuleiten (siehe Pubertätsinduktion, S. 27ff.).

Bei geschlechtsreifen Frauen, die erst nach der Pubertätsentwicklung eine Hypophyseninsuffizienz mit Ausfall der Hormonproduktion von FSH und LH entwickelt haben, fällt die Menstruationsblutung aus. Die Patientinnen klagen aufgrund des Sexualhormonmangels oft zu Beginn der Hypophyseninsuffizienz zusätzlich über Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Herzrasen. Wenn zusätzliche Hormonachsen ausgefallen sind, können auch andere Symptome im Vordergrund stehen. Bei länger bestehendem Mangel an Sexualhormonen kommt es häufig zu trockenen Schleimhäuten, insbesondere kann eine trockene Scheide dazu führen, dass Geschlechtsverkehr als äußerst schmerzhaft und unangenehm empfunden wird.

Ein unbehandelter, über Jahre bestehender Mangel an Geschlechtshormonen führt zu Veränderungen im Knochenstoffwechsel mit der Folge eines Knochenschwundes (Osteoporose), was im Extremfall spontane Knochenbrüche verursachen kann. Langjähriger Östrogenmangel zieht auch nachteilige Veränderungen im Herz-Kreislauf- System nach sich (Bildung von Arterienverkalkung (Arteriosklerose) wird begünstigt), ebenso Veränderungen des Zuckerhaushaltes mit Begünstigung der Entwicklung eines Alterszuckers (Diabetes mellitus Typ 2) sowie Veränderungen im Fetthaushalt. Ein Zusammenhang zwischen Östrogenmangel und Begünstigung der Entwicklung eines Morbus Alzheimer wird vermutet.

Wie kann man die negativen Folgen für den Körper infolge eines Mangels an Sexualhormonen bei Hypophyseninsuffizienz vermeiden?

In jedem Fall ist eine Hormongabe mit Sexualhormonen bei der Frau im geschlechtsfähigen Alter unbedingt geboten! Bei Mädchen mit Hypophyseninsuffizienz vor der Pubertät erreicht man mit einer Hormongabe eine ganz normale Pubertätsentwicklung: Es kommt zur Ausbildung der sekundären Geschlechtsbehaarung (Schamhaar, Achselhaar) sowie zur Entwicklung der Brüste; je nachdem, wie die Hormone Östrogen und Gelbkörperhormon gegeben werden, kann auch eine Blutung erreicht werden, die „gefühlt“ einer normalen Regelblutung (Menstruation) entspricht. Die Gabe von Östrogen und Gelbkörperhormon kann wechseljahresähnliche Beschwerden (Hitzewallungen, Gereiztheit, Stimmungsschwankungen, Herzstolpern, Gelenkbeschwerden, trockene Schleimhäute, Libidomangel) nahezu 100-prozentig bessern! Die Menstruation, die ohne Geschlechtshormone nicht einsetzt, kann, wenn gewünscht, wieder hergestellt werden. Langfristige Symptome des Östrogenmangels entstehen gar nicht erst, wenn mit Diagnosestellung der Hypophyseninsuffizienz rechtzeitig eine Hormongabe mit Östrogen- und Gelbkörperhormon begonnen wird. 

Wie lange sollten Geschlechtshormone von Frauen mit Hypophyseninsuffizienz eingenommen werden?

International empfiehlt man Patientinnen, die keine eigenen Geschlechtshormone bilden können (aus welchen Gründen auch immer), mindestens bis zum 50. Lebensjahr Hormone zuzuführen, also bis zu dem Alter, in dem die meisten gesunden Frauen in die Wechseljahre kommen und dann natürlicherweise auch nicht mehr in der Lage sind, die Geschlechtshormone zu bilden.

Welche Geschlechtshormone stehen als Ersatz zur Verfügung?

Welche Darreichungsformen der Geschlechtshormone stehen zur Verfügung?

Hormone werden in Tablettenform über den Mund eingenommen; bei der oralen Anwendung ist es wichtig, die Hormone zu einer Mahlzeit einzunehmen, da die weiblichen Hormone fettlöslich sind und somit besser ihre Wirkung entfalten können.

Wie werden die Hormone angewendet?

Wie bei den Darreichungsformen bereits erläutert, können Hormone auf unterschiedliche Art und Weise in den Körper gebracht werden. Die sicherlich am häufigsten verwendete Form ist die Tabletteneinnahme. Hierbei sollte am besten eine kontinuierliche Einnahme erfolgen, das heißt, dass jeden Tag eine Tablette genommen wird. Dadurch ist gewährleistet, dass die Patientin täglich gleichmäßig mit Östrogenen versorgt ist. Auch bei einer kontinuierlichen Einnahme kann es zu einer Blutung kommen, falls von der Patientin gewünscht (kontinuierlich sequentielles, das heißt aufeinander folgendes Einnahmeschema); in diesem Fall enthält der erste Teil der Tabletten nur Östrogen (meist 10-14 Tage) und der zweite, farblich anders markierte Teil Östrogen und Gelbkörperhormon (11-14 Tage). Wenn der neue Blister begonnen wird, kommt es durch den sogenannten Gelbkörperentzug, also durch den Wegfall des Gelbkörperhormons bei dann wieder alleiniger Östrogengabe, zur Abbruchblutung. Ist in jeder Tablette Östrogen und Gelbkörperhormon enthalten, kommt es nicht zur Blutung. Weil von Anfang an, zusätzlich zum Östrogen, jeden Tag gleichzeitig Gelbkörperhormon gegeben wird, kommt es nicht zu einem Aufbau der Gebärmutterschleimhaut und die Blutung bleibt aus. Medizinisch sind beide Schemata anwendbar! Die Patientin muss entscheiden, ob für sie persönlich eine Blutung wichtig ist.

Ähnlich wie bei den Tabletten ist die Anwendungsweise bei den Pflastern möglich: entweder kontinuierlich, ohne Blutung oder sequentiell, mit Blutung alle 4 Wochen. Die Pflaster werden je nach Hersteller 1-2 x/Woche auf den Bauch oder auf das Gesäß geklebt.

In bestimmten Fällen, z. B. Pflasterallergie, kann das Östrogen auch in Form eines Gels oder Sprays über die Haut in den Körper gebracht werden. Für die zusätzlich erforderliche Gelbkörperhormon-Gabe steht allerdings kein Gel zur Verfügung, welches eine ausreichende Wirkung auf die Gebärmutterschleimhaut ausüben könnte! In solchen Fällen muss das Östrogengel mit einer Gelbkörperhormon-Tablette (oral angewendet) oder -Kapsel (orale oder vaginale Anwendung) kombiniert werden! Grundsätzlich wäre es auch mit einer Hormonspirale (Mirena) möglich das Gelbkörperhormon für fünf Jahre in die Gebärmutter einzubringen. Die Kosten dafür muss die Patientin aber selbst tragen – manchmal kann diese Lösung vorteilhaft sein.

Welche Dosierungen gibt es?

Spricht man von Dosierungen der Hormonpräparate, geht es eigentlich immer um die Menge des Östrogenanteils. Die herkömmlichen Präparate in Tablettenform enthalten meist 1 oder 2 mg Östradiol (Estradiolvalerat, Estradiolhemihydrat, Estradiol). Zum Knochenschutz, sowie für all die anderen oben aufgeführten Indikationen, reicht meist ein 1-mg-Östrogenpräparat aus. In einigen Fällen ist ein 2-mg-Präparat erforderlich. Die Menge des Gelbkörperhormons ist in den Fertigpräparaten bereits auf die Östrogenmenge abgestimmt. Bei „frei zusammengestellten“ Östrogen-/Gelbkörperhormon-Kombinationen muss der verschreibende Arzt darauf achten, dass er die Gelbkörperhormon-Dosis in sogenannter Transformationsdosis verschreibt. Dies bedeutet, dass die durch das Östrogen aufgebaute Gebärmutterschleimhaut auch korrekt umgewandelt (transformiert) wird.

Bei der Pubertätsinduktion (medikamentöse Einleitung der Pubertät) werden andere Dosierungen eingesetzt.

Pupertätsentwicklung

Die Pubertät bezeichnet den Zeitraum vom Auftreten der ersten Pubertätszeichen bis zum Abschluss des Längenwachstums und Erreichen der Fruchtbarkeit. Im Falle einer Hypophyseninsuffizienz im Kindesalter bleiben diese Veränderungen aus.

Die Dauer der Pubertätsentwicklung beim Mädchen vom Beginn bis zur Reife beträgt ca. 3-5 Jahre. Bei der ungestörten Pubertätsentwicklung bildet der Körper in den ersten 2 Jahren nur das Sexualhormon Östrogen, das 2. Sexualhormon Gelbkörperhormon = Progesteron ist in dieser Zeit nur sehr niedrig im Blut nachweisbar. Dies wird auch bei der pubertätseinleitenden Therapie berücksichtigt. Zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr wird in den meisten Fällen mit dieser Therapie begonnen. Die Therapie sollte von einem erfahrenen Kinderendokrinologen begleitet werden. Zu Beginn erhält das Mädchen sehr niedrige Mengen des Hormons Östradiol in Form von Kapseln, Tropfen oder Pflaster. Die Mengen sind so gering, dass eine Extra-Anfertigung über bestimmten Apotheken erfolgen muss, weil keine fertigen Handelspräparate zur Verfügung stehen. Die Startdosis beträgt 0,2 mg Östradiolvalerat. Ca. alle 3-6 Monate wird diese Dosis, je nach Entwicklungsstand der Brustentwicklung (sogenannte Tannerstadien) und des Längenwachstums, schrittweise erhöht. Ab dem 2. Einnahmejahr des Östrogens wird vom 1. bis zum 12. Tag eines jeweiligen Monats noch zusätzlich ein Gelbkörperhormon (Progesteron) gegeben. Wie im „normal“ funktionierenden Zyklus einer gesunden Frau wird zunächst die ersten 14 Tage Östrogen gegeben und die zweiten 14 Tage Östrogen und Gelbkörperhormon (Progesteron) zusammen. Durch die zyklische Gabe kommt es zur Menarche, also der ersten Menstruationsblutung. Wenn das Mädchen gar nicht unbedingt eine Menstruation wünscht (z. B. viel Sport, starke Schmerzen bei der Menstruation), kann man auch die Hormone Östrogen und Gelbkörperhormon jeden Tag ohne Pause zusammen einnehmen. Dafür gibt es Fertigpräparate, sodass jeden Tag nur eine Tablette eingenommen werden muss. Medizinisch gibt es keine Nachteile, wenn eine Patientin sich gegen eine monatliche Blutung entscheidet! Es gibt insbesondere folgende immer wieder berichtete Mythen: Die Gebärmutter müsse sich reinigen oder ohne Menstruation könne man später keine Kinder bekommen. Diese Behauptungen treffen aus medizinischer Sicht nicht zu! Wenn die Pubertätseinleitung abgeschlossen ist, kann zur weiteren Substitution (Ersatztherapie) auch eine Umstellung auf eine Antibabypille (hormonale Kontrazeption) erfolgen. In bestimmten Fällen kann das sogar vorteilhaft sein: Z. B. wenn die Patientin unter einer Akne leidet, kann diese häufig sehr erfolgreich mit einer bestimmten Pillensorte (hormonale Kontrazeptiva mit antiandrogenem Gestagenanteil: Cyproteronacetat, Dienogest, Chlormadinonacetat, Drosperinon) behandelt werden.

Verhütung

Eine Verhütung ist bei Patientinnen mit Hypophyseninsuffizienz mit Ausfall der Produktion der Sexualhormone nicht erforderlich.

Trotzdem kann auch die Antibabypille verschrieben werden, um die Sexualhormone zu ersetzen. Die Antibabypille enthält in den meisten Fällen das künstliche Östrogen Ethinylöstradiol. Insbesondere jungen Frauen ist es häufig angenehmer, eine Pille zu verwenden als ein „Präparat für die Wechseljahre“ (Stigmatisierung).

Wenn eine Antibabypille bei jungen Frauen (bis zum 30. Lebensjahr) verschrieben wird, sollte die verschriebene Pille 30 μg Ethinylöstradiol enthalten und nicht nur 20 μg, weil damit möglicherweise ein besserer Knochenaufbau erfolgt. Bei der Verschreibung einer Antibabypille muss beachtet werden, dass diese von den gesetzlichen Krankenkassen nur bis zum vollendeten 21. Lebensjahr bezahlt wird. Danach muss die Patientin das Präparat selbst bezahlen, auch wenn es gar nicht zur Verhütung gebraucht wird, sondern zum Hormonersatz. Da dies gesetzlich so festgelegt ist, besteht trotz des speziellen Krankheitsbildes der Hypophyseninsuffizienz keine Chance, die Kosten für die Pille von der gesetzlichen Krankenkasse erstattet zu bekommen.

Kinderwunsch

Patientinnen mit nachgewiesener Hypophyseninsuffizienz sind in den allermeisten Fällen in der Lage schwanger zu werden, wobei die Patientinnen mit Hypophyseninsuffizienz, genauso wie gesunde Patientinnen auch, nur bis zu einem bestimmten Lebensalter schwanger werden können. Wie bei gesunden Frauen nimmt die Schwangerschaftschance langsam mit dem 35. Lebensjahr ab, Schwangerschaften ab dem 40. Lebensjahr sind in beiden Gruppen zunehmend selten zu erreichen. Damit eine Patientin mit Hypophyseninsuffizienz schwanger werden kann, muss, medikamentös gesteuert, eine Eireifung erzielt werden, das heißt, die vorhandenen Eizellen müssen durch Hormongaben stimuliert werden. Es erfolgt eine Stimulationsbehandlung mit FSH und LH (meist finden Hormonspritzen Anwendung, selten wird eine Hormonpumpe verwendet). Bei der Gabe von Spritzen werden diese täglich, von der Patientin selbst, ins Unterhautfettgewebe gegeben; nach ca. 12 Tagen Hormongabe erfolgt eine Ultraschalluntersuchung durch die Scheide, um zu kontrollieren, ob es zu einer entsprechenden Eireifung gekommen ist. Ist dies der Fall, wird durch eine weitere Hormonspritze der Eisprung ausgelöst. Wenn das Paar dann in einem bestimmten Zeitfenster nach der Eisprung auslösenden Spritze Geschlechtsverkehr hatte, kann ca. 14 Tage später im Blut überprüft werden, ob es zu einer Schwangerschaft gekommen ist. Oft klappt es, wie bei gesunden Patientinnen auch, nicht sofort und es sind mehrere Stimulationszyklen zum Erreichen einer Schwangerschaft erforderlich. Am besten sollte der betreuende Frauenarzt bzw. die betreuende Frauenärztin die betroffene Patientin zu Therapiebeginn in ein entsprechendes Kinderwunschzentrum überweisen. Dort besteht ausreichend Erfahrung bei der Stimulation von Patientinnen mit Hypophyseninsuffizienz!

FAQ - Häufige Fragen

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